Ein Interview von Stephanie Ristig-Bresser mit Hans-Georg Huber im Kulissenblog
Höher, schneller, weiter – unser Wirtschaftssystem ist von einem quantitativen Wachstumsmodell geprägt. Doch spätestens seit der Wirtschaftskrise im vergangenen Jahr ist jedem klar, dass es noch mehr gibt als schwarze Zahlen und dass wir vor allen Dingen konstruktiver miteinander wirtschaften sollten, wenn unsere Unternehmen dauerhaft und nachhaltig erfolgreich sein wollen. „Sinnvoll erfolgreich” heißt das Buch des Führungskräfte-Trainers und Unternehmenscoachs Hans-Georg Huber. Er setzt sich mit genau dieser Thematik auseinander und beschreibt, woran es Unternehmern und Unternehmen mangelt und wie sie eine Unternehmenskultur etablieren können, die ein vertrauensvolles, motivierendes und mithin Gewinn bringendes Teamgefüge produziert. Im Telefoninterview habe ich ihn dazu befragt.
Unternehmensgewinn, ein dickes schwarzes monetäres Plus, gilt als DIE Kennziffer für Erfolg. Sie haben in Ihrem Buch dem Unternehmenserfolg das Adjektiv „sinnvoll” vorangestellt. Was kennzeichnet ein „sinnvoll erfolgreiches” Unternehmen?
Ein sinnvoll erfolgreiches Unternehmen legt nicht allein Wert auf quantitatives äußeres Wachstum, sondern immer auch auf die qualitative Entwicklung im Inneren, z.B. der Unternehmenskultur. Allen Mitarbeitern und der Führungsebene ist darüber hinaus bewusst, dass Macht und Verantwortung untrennbar miteinander verbunden sind. Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen und sich die Sinnfrage zu stellen, hat zur Folge, dass das Unternehmen sich ganz klar und bewusst positioniert und auch zu bestimmten Werten bekennt. Das hat eine Wirkung auf die komplette Belegschaft, aber auch auf die Kunden, denn diese achten immer mehr darauf, bei wem sie arbeiten, bzw. bei wem sie kaufen.
Wie können Unternehmen sinnvoll erfolgreich werden?
Indem sie eine konstruktive Unternehmenskultur etablieren und sich für Ziele engagieren, hinter denen die Mitarbeiter stehen können. Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen funktioniert das häufig über die Person des Inhabers oder Geschäftsführers, der die Werte des Unternehmens vorlebt. Bei größeren Unternehmen ist das jedoch schwierig. Was kann hier das Korrektiv sein, das Spielfeld mit seinen Banden? Viele Unternehmen erarbeiten dazu ein Leitbild, das nach dem Motto „Gelesen, gelacht, gelocht” nie richtig im Unternehmen gelebt wird. Ein Unternehmenssystem jedoch, dessen Motivationsanreiz lediglich auf der Bezahlung von Boni beruht, ist niemals konstruktiv. In einem solchen System, in dem das monetäre Interesse vorherrscht, klettern Karrieristen an die Führungsspitze, die ebenfalls nur auf die Zahlen schauen. Hier braucht es einen Wertewandel.
Wie kann ein Unternehmen dies ändern und eine wirklich gelebte Unternehmenskultur entwickeln?
Dazu reicht es eben nicht aus, ein Leitbild spektakulär zu präsentieren, um es dann kurze Zeit später in einem Ordner verstauben zu lassen. Das hat eher einen negativen Effekt. Es braucht einen regelrechten, durchgreifenden Kultur und Wwertewandel – der kontinuierlich und durch Taten erkennbar verfolgt wird. Im Idealfall verfügt das Unternehmen über eine attraktive Vision und ein konkretes Unternehmens-Leitbild als Orientierung. Davon abgeleitet macht es häufig Sinn ein gemeinsames Führungsleitbild zu entwickeln. Entscheidend für die Wirksamkeit dieser Leitbilder ist, dass sie herausfordernd sind und gleichzeitig Lust machen, diese auch zu leben, Handlungsimpulse auslösen.
Vorstand und Führungskräfte müssen diese Leitbilder verkörpern und glaubwürdig vorleben. Dieser Prozess hin zu einer neuen Unternehmenskultur passiert nicht von heute auf morgen. Entwicklung braucht Zeit. Auf dem Weg wird es Widerstände geben, die Mitarbeiter müssen erst Vertrauen aufbauen und es gilt, neue Fähigkeiten für ein konstruktives Miteinander zu entwickeln. Viele Unternehmen scheuen diesen Prozess, da sich erst mal keine unmittelbaren – betriebswirtschaftlich messbare – Ergebnisse abzeichnen, wie z.B. bei Umstrukturierungen oder Kostenreduktiosprogrammen.
Dennoch zahlt sich die innere Entwicklung meist auch Außen aus. In den vergangenen zwei Jahren haben wir diesen Prozess bei einem Unternehmen mit 2.000 Mitarbeitern begleitet und ich kann Ihnen versichern, neben dem besseren, offeneren Betriebsklima und einem Motivationszuwachs der Mitarbeiter, hat sich in Folge auch das wirtschaftliche Ergebnis deutlich verbessert. Wenn man bedenkt, dass der Gallup-Studie zufolge 20 Prozent der Mitarbeiter innerlich gekündigt haben und 67 Prozent „Dienst nach Vorschrift” machen, wird offensichtlich, welch enormes Potenzial darin steckt, mit stimmigen und wirklich gelebten Leitbildern für ein besseres Betriebsklima und hohes Engagement für die Unternehmensziele zu sorgen. Wenn nur fünf Prozent aller Mitarbeiter motivierter mitarbeiten und mitdenken, kann das bei manchen Unternehmen schon ein Milliarden Umsatzplus ausmachen.
Welche „Sinne”, welche Werte sind für ein Unternehmen erstrebenswert?
Das ist für jedes Unternehmen individuell. Oft stößt man auf den Kern, wenn man die Frage stellt, was verloren gehen würde, wenn es das eigene Unternehmen nicht geben würde. Der Sinn eines Unternehmens ist die Aufgabe, die Mission, die es zu erfüllen hat und der Nutzen, den es für Kunden, Mitarbeiter und Gesellschaft schafft. Wenn diese Sinnfrage beantwortet ist und die gelebten Werte ausreichend kompatibel sind mit denen der Mitarbeiter, ist eine ganz andere Energie und Motivationskraft im Spiel.
Unser „Höher-Schneller-Weiter”-Streben hat im vergangenen Jahr mit der Wirtschaftskrise einen gewaltigen Dämpfer erlitten. Wie konnte es Ihrer Meinung nach zu dieser Krise kommen?
Ich glaube, dass in der Finanzszene die entscheidenden Prinzipien eines ehrbaren Kaufmanns verloren gegangen sind. Einer der wichtigsten Werte eines Kaufmannes sollte es sein, darauf zu achten, dass es seinem Kunden nachhaltig gut geht und dass man selber gleichzeitig angemessen für seine Leistung bezahlt wird. Er sollte sich der Verantwortung bewusst sein, die er trägt, wenn seinem Kunden Anlageprodukte verkauft. Doch dieses Interesse darf heute nur noch begrenzt da sein. Die Bankerszene hat ja in den vergangenen 20 Jahren einen tief greifenden Paradigmenwechsel erfahren: Vom Berater hin zum Verkäufer. Heute steht das kurzfristige Umsatzziel und Renditeziel im Mittelpunkt. Bankkaufleute stehen unter einem gehörigen Druck und müssen bestimmte Produkte absetzen, die für ihre Kunden vielleicht nicht die richtigen sind.
Allerdings gibt es auch einen Gegentrend: Es werden zunehmend alternative Banken gegründet, deren oberstes Ziel nicht das Erreichen einer möglichst hohen Rendite, sondern das Schaffen von Mehrwert für ihre Kunden ist.
Und wie können wir es jetzt besser anstellen?
Ich glaube, dass die Wirtschaftskrise ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist. Wir brauchen eine neue Wertediskussion. Denn im Grunde zieht sich dieser Werteverfall durch die gesamte Gesellschaft: In den Medien etwa zählt vor allem die Quote, die inhaltliche Qualität ist dabei häufig zweitrangig. Auch in der Politik geht es viel zu oft nicht mehr um einen konstruktiven Dialog und darum, sinnvolle Rahmenbedingungen zu schaffen, die unsere Gesellschaft und unseren Staat stützen und entscheidend voran bringen. Es geht eher darum, den politischen Gegner zu beschädigen und damit Stimmen zu gewinnen. Dieser Werteverfall zieht sich durch alle Bereiche. Es geht zuviel um Output, Rendite, Quote, Stimmzahl. Die eigentliche Aufgabe und das konstruktive, wertvolle Miteinander und Füreinander wird dabei aus den Augen verloren. Dies sollten wir ernsthaft in Frage stellen, denn dort liegt das größte ungenutzte Potenzial unserer Gesellschaft.
Sie haben als Führungskräftecoach hinter die Kulissen einiger deutscher Unternehmen geblickt. Was sind Ihre Erfahrungen? Was können Führungskräfte anders und besser machen, damit sie mit einer motivierten Mannschaft an Bord sind?
Meine Erfahrung ist, dass es in vielen deutschen Unternehmen an Führungskompetenz mangelt. Dies hat seine Ursache darin, dass die meisten Führungskräfte auf einem klassischen Weg in diese Position gelangen: Sie glänzen als exzellente Fachkraft und werden mit Führungsverantwortung honoriert, steigen zum Team- oder Abteilungsleiter auf. Nur werden sie darauf nicht ausreichend vorbereitet. Auf diese Weise verlieren die meisten Unternehmen eine hoch qualifizierte und motivierte Fachkraft und gewinnen eine schlechte, verunsicherte Führungskraft. Führungskompetenz lässt sich nicht an einem Wochenende vermitteln. Das ist ein längerer Prozess des In-die-Rolle-Hineinwachsens. Eine Führungskraft braucht eine entwickelte Persönlichkeit, eine stimmige Haltung und die Fähigkeit, die Rolle als Führungskraft klar einnehmen zu können. Nur dann ist es möglich, flexibel und konstruktiv mit den alltäglichen Dilemmata umzugehen und glaubwürdig zu agieren. Es gilt, verschiedene Interessen zu vereinen. Im Sinne des langfristigen Unternehmenserfolges ist es manchmal auch notwendig, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Dennoch müssen die Mitarbeiter auch das Gefühl haben: „Der oder die hat uns mit auf der Rechnung, der bezieht uns in seine Entscheidungen mit ein, der denkt an uns.”
In kleineren bis mittelständischen Unternehmen ist fast jede dritte Frau eine Führungskraft. In Großkonzernen sind kaum weibliche Vorstände und Aufsichtsräte zu finden. Im dritten Teil Ihres Buches „Sinnvoll erfolgreich” fordern Sie, dass Frauen vermehrt in Führungspositionen beschäftigt sein sollten. Über welche besonderen Fähigkeiten verfügen Frauen Ihrer Meinung nach und welchen „Plan B” schlagen Sie vor, um zu erreichen, dass Frauen vermehrt in Führungspositionen beschäftigt werden?
Ich meine, dass Frauen über ein großes Potenzial verfügen, das wir bisher noch zu wenig nutzen. Frauen, die Karriere machen, orientieren sich häufig noch immer an ihren männlichen Kollegen und geben ihre Identität als Frau ab. Dabei brauchen wir mehr Weiblichkeit in unserer Führungslandschaft. Früher galt es, sich als Führungskraft für eine Seite zu entscheiden, den eher männlichen Weg: Profitorientierung versus Menschlichkeit, Sach- und Zielorientierung versus Beziehungsorientierung, Logik und Verstand versus Gefühl. Heute müssen Führungskräfte auf der gesamten Klaviatur spielen können, um nachhaltig erfolgreich zu führen. Die zunehmende Komplexität fordert quasi eine Feminisierung der Führungskultur, Eigenschaften, die gesellschaftlich eher Frauen zugeschrieben werden.
So betrachtet sind z.B. Mütter eigentlich prädestiniert für Führungsaufgaben, da sie in ihren Familienalltag eine Führungsrolle ausüben und dazu beide Seiten integrieren müssen. Wir sollten die Auszeiten, die sich Frauen nehmen, um sich um die Familie zu kümmern, eher als Gewinn betrachten, denn als verlorene Zeit. Denn genau in der Elternzeit lernen Mutter und Vater etwas ganz Wesentliches: sich um Menschen zu kümmern, die einem nahe stehen und die in einem Abhängigkeitsverhältnis sind, Kompromisse zu schließen, Chaos zu managen und trotzdem eine klare Linie vorzugeben. Die Elternzeit ist sozusagen ein erstklassiges Qualifizierungsprogramm, um Führungskompetenzen zu erwerben. Leider haben Unternehmen darauf häufig einen anderen Blick und betrachten diese Zeit als verloren. Hier könnte alleine eine andere Wahrnehmung eine Menge verändern.
Welche Erfolgsziele haben Sie selbst für dieses Jahr?
Ich habe ein ganz großes persönliches Ziel. In diesem Jahr möchte ich wieder fitter werden, mich wieder mehr bewegen. Das ist im letzten Jahr, bei all den spannenden beruflichen Herausforderungen, ein wenig auf der Strecke geblieben. Was mein Unternehmen angeht, sind wir auf der richtigen Spur. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass es beim Unternehmertum um mehr als kurzfristige Rendite geht. Meine Arbeit ist für mich sehr erfüllend, es inspiriert mich sehr, Unternehmen bei der Entwicklung ihrer Unternehmenskultur zu begleiten und die positiven Folgen auch in der wirtschaftlichen Entwicklung zu sehen. Insofern freue ich mich auf ein rundum erfolgreiches und sinnstiftendes Jahr!