6. April 2010

Buchrezension: Gerald Hüther, „Männer – Das schwache Geschlecht und sein Gehirn“

Im Wissen, dass Frauen insgesamt mehr Lesen und, dass sie sich auch auf der Suche, Männer zu verstehen, für dieses Buch interessieren könnten, widmet der Autor den Frauen ein eigenes Kapitel. Darin bittet er darum, das Buch auch Männern zugänglich zu machen. Was er nicht explizit schreibt und doch als Hoffnung durchschimmert: Es ist kein Ratgeber für Frauen, im Sinne von „wie erziehe ich meinen Mann, Kollegen oder Chef“.

Dennoch steht das Buch für mich in einem Zusammenhang mit meinem Schwerpunkt „Frauen und Karriere“. Einerseits enthält es interessante Informationen für Frauen über sich selbst. Anderseits enthält es Informationen über Männer, mit denen Frauen sowohl beruflich als auch privat ihren eigenen Handlungsraum erweitern können.

Zum Autor: Professor Hüther ist Neurobiologe und ein erfahrener und engagierter Forscher. Dieses Buch bündelt sein Wissen und zielt darauf, Männer zu motivieren, ihr Potential für sich selbst zu entwickeln. Er macht das auf leicht geschriebene und allgemeinverständliche Weise. Dennoch schwingt für Kenner seiner bisherigen Bücher die ganze wissenschaftlich unterlegte Argumentation mit; es ist dicht und kompetent.

Eine Kernaussage: Die Biologie hat das Weibliche und das Männliche, Frauen und Männer erfunden, weil sich Spezialisierung bewährt hat. Die Spezialisierung beruht darauf, dass ein Geschlechterpol für die Wahrung und Pflege der „bereits gefundenen und bewährten Überlebensstrategien“ spezialisiert ist. Der andere Pol „die Männchen dafür optimiert werden, besonders intensiv nach neuen Wegen und Strategien zu suchen, die eine Weiterentwicklung des Bestehenden, die Entwicklungfähigkeit und Anpassungsfähigkeit der Nachkommen an sich ändernde Lebensbedingungen ermöglichen (S.47)“.

Daraus ergibt sich eine unterschiedliche Begabungsbasis, die über die Geschlechtshormone gesteuert wird. Im konkreten Menschen zeigt sich das als „Interesse an…“ Das wiederum steuert die eigene Motivation zu lernen.

Damit ist nicht gemeint, dass sämtliche Diskurse zu Gender hinfällig sind – im Gegenteil. Für die einzelne Frau und den einzelnen Mann heute ist es ja gerade die Aufgabe mit der eigenen biologischen Basis, dem Körper und den sozialen Anforderungen und Möglichkeiten, die unsere offenen Gesellschaft biete, das Optimale zu entwickeln und zu realisieren, und das ist immer individuell. Hormonell gibt es unterschiedliche „Angebote“ in den Interessen. Realisiert wird das Leben aber über die Auseinandersetzung mit der realen Umwelt, den sozialen Beziehungen und dem aktiven Nutzen der „Angebote“, dem Lernen und dem aktiven Verhalten.

Was Hüther deutlich aufzeigt, dass genau das für Jungen und Männer gar nicht so einfach ist, wie sich das aus der Perspektive der Frau oft darstellt. Um nun als Frau den Kompromissen, die Männer zu ihrem eigenen Schaden machen, nicht aufzusitzen und sie zu idealisieren, ist das Buch eine sinnvolle Informationsquelle.

Männer sind biologisch extremer als Frauen: schwächer und stärker zugleich. Die Aufgabe ist es, diese Extreme auszubalancieren. Das braucht die Fähigkeit, sich zu zentrieren. Diese Aufgabe haben Frauen ebenso, doch ihre Begabungen machen es ihren leichter, wenn sie sie entwickeln, die Polarität von Bindung und Individuation zu bewältigen.

Die Schwäche ist, dass Jungen auf der Körperebene konstitutionell verletzlicher als Mädchen sind. Das macht sie störanfälliger und vor allem angewiesener auf soziale Bindungen, die Halt geben. Zugleich ist die eigene Bindungsfähigkeit schwer mit der Seite der Stärke in Verbindung zu bringen.

Die Stärke liegt in der vor allem durch das Testosteron Hormon gesteuerten Spezialisierung hin zu einem Wesen, das sich immer wieder auf die Suche nach neuen Lösungen macht. Das erlebt der einzelne Mann als Suche nach Freiheit, Neuem, Abenteuer, Langweile gegenüber bereits Bekanntem.

Aus beiden Polen ergibt sich ein Dilemma, ein ständiger Spannungsherd zwischen Halt gebender Beziehung und einem risikohaften Leben, sowohl was den eigenen Körper als auch Beziehungen angeht.

Gerald Hüther ist sehr engagiert, um die Stärken von Männern für sie selbst nutzbar zu machen, ohne dabei die destruktiven Konsequenzen ausprägen zu müssen. Darüber hinaus gibt die Lektüre Anregungen für Frauen. Mein Resümee nach der Lektüre:

Es ist für Frauen sinnvoll, ihre eigenen Begabungsreserven zu kennen und zu nutzen und für deren Wertschätzung aktiv zu sorgen. Die liegen im Interesse an Personen und an der Integration von Neuem in das Alte.

Sowohl Weitblick zu haben, als auch fokussiert sein zu können, ist für Frauen und für Männer eine aktive Lebensaufgabe, die mit viel Übung erarbeitet werden kann! In der automatisierten biologischen Grundeinstellung bietet das weibliche Geschlechtshormon Weitblick, d.h. Vorsicht, Bindungskonsequenzen sehen und Detailgenauigkeit, das männliche Geschlechtshormon: Risikofreude (ohne Angst), Fokus auf ein neues Ziel (und Zerstörung von Bewährtem), Durchsetzungsfähigkeit und Aggression (und Beziehungsabbruch).

Es ist sinnvoll für Frauen, bei der Suche nach Karrieremöglichkeiten die maskulinen Strategien zu erkennen. Vor allem, dass es sich um Verhaltensanpassungen handelt, die mit ständiger Suche nach Neuem, Erobern, sich Behaupten und Durchsetzten zu tun haben. Diese haben Grenzen, nämlich Risiko ohne Rückbindungen einzugehen, Neues zu probieren, obwohl das Bewährte dabei zerstört wird, weil es schwer ist, dieses gleichzeitig im Fokus der Aufmerksamkeit zu halten. Vielleicht entmystifiziert es Männer, weil ihre Grenzen verstehbar werden, aber es schafft auch mehr Wertschätzung für sie und hoffentlich für sich selbst als Frau.

Hier sehe ich die Chance für Frauen gerade im Bereich der Karriere und Führung: die Verbindung von Bewährtem und Neuem, von Bindung und zielorientiertem Verhalten und vor allem die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung für sich und für das Unternehmen zu nutzen.

Vandenhoeck und Ruprecht, 2009
ISBN 978-3525404201

Barbara Hofmann-Huber schreibt im Coachingbüro-Blog über Hüthers Buch „Männer“Barbara Hofmann-Huber, Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin, Trainerin und Coach von Führungskräften

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