Die Autorin Brené Brown ist eine Pionierin in der US-Amerikanischen Forschung über Verletzlichkeit, Scham und Authentizität. Das 2013 erschienene Werk Verletzlichkeit macht stark gibt, anschaulich geschrieben, die Ergebnisse ihrer qualitativen Studien wieder. Es ist spannend zu lesen, voller alltäglicher Beispiele und erzeugt daher einen Erkenntnisgewinn. Dennoch ist es kein Ratgeber. Vielmehr schafft es die Autorin einen Einblick in die Schutzmechanismen zu geben, die wir im Laufe unseres Erwachsenwerdens entwickeln. Zugleich möchte sie uns motivieren und ermutigen, diese aufzulösen. Denn nur, indem wir uns für andere Menschen und dem Erleben von Nähe öffnen, können wir vollumfänglich fühlen, präsent sein, genießen. Nur so finden wir Zugang zu unserer Freude, Kraft und Kreativität.
Was daran hindert, sich verletzlich zu zeigen, ist das Gefühl von Scham. Diese ist vor allem mit dem Empfinden von „ausgeschlossen sein“ und dem Gefühl, „es nicht wert zu sein, in einer Gemeinschaft dazu zu gehören“ verbunden. Damit geht der Druck einher, sich an die Normen der Gemeinschaft anzupassen. „So machen wir das hier“, nennt sie die Kultur (S.209), die sich als gesellschaftliche, familiäre, oder Unternehmenskultur zeigen kann.
Es geht bei diesen Themen darum, den Mut zu entwickeln, zu dem zu stehen, wie wir sind. Nur so erleben wir das Gefühl von Zugehörigkeit, das sich nicht an unserer Leistung festmacht, sondern an dem eigenen Wesen. Achtsamkeit, Selbstmitgefühl und Empathie sind wichtige Werkzeuge für diesen Weg der Selbstkultivierung. Durch den Mut zur Offenheit uns selbst gegenüber finden wir die Fülle und den Reichtum, der in unserem Potential angelegt ist. Durch das Vertrauen zu anderen Menschen lassen wir sie an unserm Inneren teilhaben und schenken das tiefste an Begegnung, zu dem wir fähig sind.
Ich habe Verletzlichkeit macht stark mit viel Interesse, jedoch auch Nachdenklichkeit gelesen. Wie gerne würde ich Ihnen den Mut vermitteln, wie es die Autorin tut. Ich kann es jedoch nur mit einem Hinweis auf die konkrete Lebensrealität, in der Sie leben und arbeiten. Gerade, weil es mir selbst ein großes Anliegen ist und ich es genieße, diese Verletzlichkeit in meinem Leben zu praktizieren, bin ich mir zugleich sehr bewusst: Ich lebe in einer Gesellschaft, in der z.B. Blogger nicht in Gefahr sind, in der die freie Meinungsäußerung geschützt ist und in der auch mehr und mehr ein respektvoller Umgang innerhalb der beruflichen Welt gelebt wird. Ich weiß, dass es nicht nur die Arbeit an mir und den persönlichen Mut braucht, um Verletzlichkeit zu leben; es bedarf auch eines flexiblen und situationsadäquaten, selbst gesteuerten Selbstschutzes.
Verlag Kailash, München 2013
ISBN:978-3-424-63079-4
Barbara Hofmann-Huber, Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin, Trainerin und Coach von Frauen in Führungspositionen