Ein Artikel von Hans-Georg Huber im Weiterbildungsmagazin Manager-Seminare
Professionelles Coaching ist die Antwort der beratenden Berufe auf den Mangel der Führungskräfte an partnerschaftlicher Kommunikation und Unterstützung, die über praktische und funktionelle Lösungen hinausgeht, und die Person des Managers mit einbezieht. Wenn man sieht, wie schnell Coaching in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat, wird deutlich, wie groß dieser Mangel ist.
Fast jeder Berater hat mittlerweile Coaching auf seiner Visitenkarte oder seinem Briefkopf stehen. Wenn man bei den Anbietern jedoch genauer nachfragt, was denn Coaching nun eigentlich sei, erhält man die die unterschiedlichsten Antworten. Ist es denn nun Therapie für Manager? Oder Supervision der unternehmerischen Arbeit? Oder einfach nur die klassische Beratung unter neuem Namen?
Natürlich ist professionelles Coaching keine Neuerfindung des Rades, sondern macht Anleihen in den verschiedensten Bereichen. Einstimmigkeit herrscht darüber, dass es sich dabei um eine personenzentrierte, berufsspezifische Einzelarbeit mit Führungskräften handelt. Aber dann scheiden sich auch schon die Geister. Insofern ist es müßig, die Frage beantworten zu wollen, was Coaching denn nun genau ist. Viel interessanter erscheint mir die Beantwortung der Frage, welche Form von Unterstützung brauchen Führungskräfte und was müsste professionelles Coaching sein, um dies leisten zu können.
Die Anforderungen an Manager und freiberuflich Tätige haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Der Wettbewerb wird härter, die Märkte werden enger, Wissen veraltet zunehmend schneller, die Werte der Menschen haben sind verändert, um nur einige Punkte zu nennen. Früher war es wichtig, als Top-Manager oder Unternehmer wie ein Leithammel vorne weg zu laufen und gleichzeitig, wenn nötig, wie ein Fels in der Brandung zu stehen. In der heutigen Zeit reicht das nicht mehr aus, da die Begrenzung des Einzelnen ein zu großes Hemmnis ist. Dem autoritären Führungsstil wird zunehmend der Nährboden entzogen. Der Grad der Vernetzung der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter ist mittlerweile so groß, dass isolierte Entscheidungen und Problemlösungen den Anforderungen nicht mehr gerecht werden.
Die eigene Balance als Führungsaufgabe
Neue Führungsqualitäten sind gefordert. Um zukünftig im Wettbewerb bestehen zu können, ist es entscheidend, das Potential und Engagement der Mitarbeiter für die Erreichung der Unternehmensziele zu fördern und zu nutzen. Dies verlangt von Managern vermehrt menschliche und zwischenmenschliche Qualitäten, z.B. innere Beweglichkeit, ganzheitliches Denken, Teamfähigkeit, Ökologiemanagement, soziale Verantwortlichkeit.
Dabei stoßen viele Manager jedoch ganz zwangsläufig an die Grenzen der eigenen Persönlichkeit. Führungskräfte arbeiten in einem Hochleistungsbereich. Ihre Leistungskraft wird tagtäglich gefordert und in ihrer Position haben sie Niemanden mehr, hinter dem sie sich verstecken können. Ähnlich wie bei Spitzensportlern, reicht häufig bereits eine kleine Irritation aus, um das innere Gleichgewicht zu verlieren. Ein Mensch der seine Balance verloren hat, kann durchaus noch gut in seinem Beruf funktionieren, aber eben auch nur das. In Bereichen, in denen Leidenschaft, Kreativität und Einsatz des gesamten Potentials gefordert wird, stößt er sehr schnell an seine Grenzen.
Dazu kommen die Schattenseiten des Erfolges. Führungskräfte sind beruflich sehr erfolgreich, sonst wären sie nicht da, wo sie sind. Sie haben erreicht, wovon viele andere Menschen träumen, die auf der Suche nach Glück und Zufriedenheit sind. Aber Erfolg zwingt auch zu Ehrlichkeit sich selber gegenüber. Einem äußerlich erfolgreichen Menschen gehen die Ausreden aus, wenn er innerlich nicht zufrieden und erfüllt ist. Bei ihm funktioniert das Wenn – Dann – Spiel nicht mehr. Er kann nicht länger daran glauben, dass alles anders wird, wenn er noch mehr Erfolg hat. Er wird mit der Frage nach dem Sinn seines Lebens konfrontiert und ist in einem Alter, in dem die Zeit anfängt, ihm wegzulaufen.
Wenn die innere Balance immer mehr zur Basis für erfolgreiche Führungsarbeit wird, werden jedoch auch Bereiche wichtiger, die sich vorher leichter abspalten ließen. Um unternehmerisches Know-how zu Verfügung zu haben, war es nicht unbedingt notwendig, ein erfülltes Privatleben zu haben. Die Erfüllung klar definierter Aufgaben setzt nicht voraus, im Kontakt mit seinem gesamten inneren Potential zu sein. Um logische, sachliche Entscheidungen zu treffen war es nicht notwendig dafür zu sorgen, mit dem Sinn des eigenen Lebens verbunden zu sein. Heute ist das anders. Eine der wichtigsten Führungsaufgaben ist die Balance des eigenen Lebens.
Solange es gilt, rein sachliche Lösungen zu finden, fachliche Entscheidungen zu treffen und vorzubereiten, finden sich meist kompetente Menschen in der näheren Umgebung. Aber selbst da gehen Führungskräften immer mehr die Ansprechpartner aus, mit denen sie kommunizieren können, ohne ihre Funktion im Unternehmen zu untergraben. Manager auf derselben Hierarchieebene sind häufig Konkurrenten, Manager auf der übergeordneten Ebene entscheiden über den weiteren beruflichen Aufstieg und die Kommunikation mit untergeordneten Mitarbeitern stellt die Hierarchie in Frage.
Für das Maß an Offenheit, die notwendig ist, will der Einzelne auch seine Person in die Kommunikation einbringen, ist innerbetrieblich häufig kein Platz. Lebenspartner und Freunde sind oft überfordert. Zudem fehlt Ihnen meist der Einblick in die beruflichen Zusammenhänge und da die Interessen gelegentlich kollidieren, garantieren sie auch nicht die notwendige Neutralität.
Der Hindernislauf zum Coach
Es liegt nahe, sich dafür einen externen, neutralen Ansprechpartner zu suchen, einen Coach. Aber der Weg dorthin ist für viele Führungskräfte mit Hindernissen bestückt. Dass die Person des Managers selbst zum Gegenstand der Beratung wird, ist ein relativ neuer Ansatz. Erfolgsorientierten Menschen, die sich und ihrer Umgebung tausendmal bewiesen haben, dass sie Experten darin sind, Probleme zu lösen, fällt es häufig schwer sich einzugestehen, dass ihre zweifellos vorhandenen Qualitäten nicht ausreichen, sobald es um tieferliegende Probleme und Themen der eigenen Person geht.
Kaum ist dieses erste Hindernis genommen, tut sich häufig schon das nächste auf. Viele Führungskräfte verknüpfen mit Coaching die Hoffnung, auf einen kompetenten Fachmann zu treffen, der ihnen die nötigen Instruktionen gibt, was sie wie ändern sollen. Aber kein Coach ist so gut, dass der die Probleme für seinen Klienten lösen kann. Ohne die nötige Motivation des Klienten, sich persönlich einzubringen und sich aktiv etwas erarbeiten zu wollen, ist professionelles Coaching sein Geld nicht wert. Ein von oben verordnetes Coaching, dem der Klient sich notgedrungen fügt, hat deshalb ebenso wenig Aussicht auf Erfolg, wie wenn der Klient die Verantwortung für sein Leben (!) an den Coach abgibt.
Sind die beiden Voraussetzungen erfüllt, stellt sich die Frage, wie findet man den passenden Coach? Wenn Coaching im Unternehmen bereits einen festen Platz hat, stehen diese Informationen meist zu Verfügung. Ist Coaching noch nicht etabliert, ist Informationsbeschaffung angesagt. Kollegen oder Geschäftsfreunde um Empfehlungen zu bitten, hinterlässt bei denen vielleicht den Eindruck, man sei seiner Aufgabe im Unternehmen nicht mehr gewachsen. Und auch im Branchenbuch unter Coaching nachzuschauen, hilft meist nicht weiter. Also ist manchmal etwas Detektivarbeit gefordert.
Die Wurzeln des Coachings
Die meisten Coaches kommen aus den Bereichen Organisationsentwicklung, Psychotherapie und Unternehmensberatung. Wegbereiter dafür, den Menschen in das Zentrum der Beratungsaktivitäten im Unternehmen zu stellen, waren sicherlich Personal- und Organisationsentwicklung, indem sie aus dem Schatten der klassischen Beraterrolle, als Experte für die Lösung von Problemen oder Themenstellungen, heraustraten.
Professionelles Coaching kann durch die Intimität der Zweierbeziehung noch einen Schritt weiter gehen. Auf der Ebene der Persönlichkeitsentwicklung gibt es keine allgemeingültigen, sondern nur individuelle Antworten. Wenn es um entwicklungs- und prozessorientierte Arbeit mit Menschen geht, ist der Klient der Einzige, der potentiell weiß, was gut und richtig für ihn ist, er ist der Spezialist für die Inhalte, um die es geht.
Die Aufgabe des Coachs ist dann eher einem Moderator oder auch Katalysator vergleichbar, der seinem Klienten Unterstützung gibt, seine eigenen Antworten für seine Fragen zu finden. Dies setzt voraus, dass der Coach ein Kommunikationsfachmann ist, sowohl für die Kommunikation des Menschen mit sich selber, als auch mit seiner Umwelt.
Die Kommunikation des Menschen mit sich und mit seiner Umgebung, war jahrelang die Domäne der Psychotherapie. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass viele Coachs einen psychotherapeutischen Background haben und auf therapeutische Techniken zurückgreifen. Ziel des Coachings ist jedoch nicht nur die Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch die Beantwortung der Frage, wie ich meinen Sinn, meine Ziele, meine Qualitäten im beruflichen Kontext leben und umsetzen kann. Und wie ich mein Potential optimal nutzen kann, um Lösungen und Antworten für die Aufgabenstellungen in meinem Berufsfeld finden zu können.
Die praktische Umsetzung im Unternehmen ist traditionell das Arbeitsgebiet der klassischen Unternehmensberatung. Diese Berater kennen die Probleme im Unternehmen, sprechen und verstehen die Sprache der Manager und haben im Gegensatz zu Psychotherapeuten einen jahrelang etablierten Zugang zum Management.
Im Kollegenkreis ist immer wieder zu hören, die jeweils Anderen wollen nur auf einen fahrenden Zug aufspringen: Die Psychotherapeuten, weil sie mit dieser Arbeit wesentlich mehr Geld verdienen können, aber keine Ahnung von praktischen Problemen und Lösungsmöglichkeiten haben. Die klassischen Unternehmensberater, weil sie im Normalfall keine Ahnung von Psychotherapie haben und selbst wenn sie eine therapeutische Ausbildung haben, zumindest keine Erfahrung als Therapeuten haben. Und damit auch keine Qualifikation haben, wie mit der Tiefe eines Menschen zu arbeiten. Um es kurz zu machen, beide haben recht. Wenn Coaching über das Althergebrachte hinausgehen soll, ist eine breite, interdisziplinäre Qualifikation des Coachs erforderlich.
Die Qualifikation des Coachs
Professionelles Coaching ist partnerschaftliche Teamarbeit. Und wie jedes andere Team ist es auch nur dann erfolgreich, wenn beide Beteiligten sich in ihren Rollen engagiert mit ihren Qualitäten einbringen und einander fordern und fördern. Die Aufgabe des Coachs ist es, seinen Klienten da abzuholen, wo er ist, im Unterstützung zu geben, wiederzufinden, wo dieser wirklich hin möchte und ihm dabei zu helfen, seinen eigenen Weg dorthin zu finden und zu gehen. Aus welchen Quellen speist der Coach die für diese Aufgabe notwendigen Fähigkeiten?
Zuallererst aus seiner eigenen Person. Ein Coach, der selber nicht in seinem inneren Gleichgewicht ist, bzw. sich nicht die Fähigkeit erarbeitet hat, immer wieder dorthin zurückzufinden, kann einem anderen nur begrenzt dabei unterstützen, die eigene Balance zu finden und zu halten. Neben einer fundierten Ausbildung ist die, in der Praxis erprobte, interdisziplinäre Qualifikation des Coachs ein wesentlicher Bestandteil seiner Ressourcen. Theoretisches Hochschulwissen reicht nicht aus. Ein Coach, der mit erfolgreichen Menschen arbeiten will, muss eigene Erfolge vorweisen können.
Und natürlich braucht jeder Coach auch ein breites Repertoire an Techniken und Handwerkszeug. Aber mit bloßer Technik kommt man nicht weit. Coaching ist kein Trainingsprogramm, sondern ein immer wieder neues Abenteuer mit einem lohnenden Ziel. Entscheidend für den erfolgreichen Verlauf des Coachings ist die Fähigkeit des Coachs, die Brücke zu seinem Klienten bauen zu können, die aufgrund der Individualität der Persönlichkeit immer verschieden ausfallen wird. Für einen erfahrenen Coach ist es wichtig, dafür über die nötigen Techniken zu verfügen, aber er weiß auch, dass das Handwerkzeug nicht die Brücke ist.
Wenn der Klient das Coaching nicht aus eigener Tasche bezahlt, hat das Unternehmen ein legitimes Interesse daran, dass es von den Ergebnissen des Coachings profitiert. Vom Coach ist dann ein Balanceakt gefordert, den er nur erfüllen kann, wenn er mit offenen Karten spielt. Er lässt sich weder dafür benutzen, seinen Klienten im Interesse des Unternehmens zu manipulieren, noch dafür, seinen Klienten gegen die Interessen des Unternehmens zu unterstützen. Dies setzt voraus, dass der Coach sich seiner hohen ethischen Verantwortung gegenüber den Beteiligten bewusst ist.
Die Beziehung zwischen Coach und Klienten ist eine völlig neue Beziehungsform im Managementbereich. Dadurch, dass die Person des Managers wesentlicher Bestandteil des Coachings ist, ist ein hohes Maß an Intimität und Vertrautheit erforderlich. Dies ist nur möglich, wenn der Klient sich absolut darauf verlassen kann, dass der Coach für einen sanktionsfreien Rahmen sorgt. Um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, ist von Seiten des Coachs folgendes erforderlich:
- Der Coach unterwirft sich absoluter Schweigepflicht über die Inhalte des Coachings. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die Coaching-Maßnahme bezahlt.
- Der Coach ist von seinem Klienten emotional unabhängig. Geld ist die einzige Währung, mit der der Coach von seinem Klienten bezahlt werden möchte. Der Klient muss ihn weder lieben, noch bewundern oder ihn weiterempfehlen.
- Der Coach ist von seinem Klienten finanziell unabhängig. Er ist weder darauf angewiesen Coaching-Maßnahmen unnötig in die Länge zu ziehen, noch mit Klienten zu arbeiten, denen er sich menschlich oder professionell nicht gewachsen fühlt.
- Der Klient kann sich darauf verlassen, dass der Coach nicht über seine eigenen persönlichen und professionellen Begrenzungen hinaus arbeitet. Der Coach ist in diesem Punkt vergleichbar einem guten Hausarzt, der seine Patienten für Probleme, die über seinen Fähigkeiten hinausgehen, an einen kompetenteren Fachmann verweist.
Was professionelles Coaching sein kann
Was Coaching sein kann, hängt sowohl von den Qualitäten und Begrenzungen des Coachs, wie auch von denen seines Klienten ab und natürlich davon, wie konstruktiv die Beziehung zwischen den beiden ist. Selbstverständlich gibt es gute und weniger gute Coachs, erfahrenere und unerfahrenere Coachs. Aber viel wichtiger als ein großer Namen ist, dass der Coach seinem Klienten genau die Unterstützung geben kann, die er braucht. Dies gilt es in der Regel in einem Vorgespräch herauszufinden.
Coaching kann potentiell viele Funktionen erfüllen. Es kann ein Ort der Unterstützung sein, Lösungen für private und beruflichen Probleme zu erarbeiten, Entscheidungen vorzubereiten, neue Fähigkeiten zu entwickeln und diese auszuprobieren. Es kann die eigene Persönlichkeitsentwicklung fördern und bei der Lebens- und Karriereplanung helfen. Aber vielleicht am aller wichtigsten, es kann ein Weg aus der Einsamkeit sein, der emotional entlastet und hilft, Stress zu regulieren und die eigene Balance wiederzufinden.
In diesem Sinn hat Coaching auch eine starke präventive und gesundheitsfördernde Funktion. Aber in einer Gesellschaft, wie der unseren, in der es mehr Ärzte gibt, als Gesundheitsberater, ist es nicht so selbstverständlich, Geld dafür auszugeben, die eigene Gesundheit und das eigene Wohlbefinden zu fördern. Viele Menschen holen sich erst dann Unterstützung, wenn ihre Probleme bereits so massiv sind, dass sie gar nicht mehr anders können.
Führungskräfte sind Bergsteigern vergleichbar. Je weiter sie nach oben kommen, desto dünner wird die Luft, es wird kälter, die Winde wehen rauer, die Einsamkeit wächst. Nur im Gegensatz zum Bergsteiger wollen sie dort oben länger bleiben, und zwar ohne Schaden an Leib und Seele zu nehmen. Zu hoffen ist, dass Führungskräfte dahin kommen, Coaching als einen Akt der Fürsorglichkeit sich und ihrem Unternehmen gegenüber zu begreifen und sich diese Unterstützung gönnen.