Artikel von Barbara Hofmann-Huber in la ola
Wir leben heute in einer Zeit des Wandels. Alte Strukturen und Lösungen funktionieren immer weniger. Die Themen und Probleme sind so vielschichtig geworden, dass es einer ganzheitlichen Herangehensweise bedarf. Dabei wird deutlich, dass Frauen hierzu über Kernkompetenzen verfügen, die für Innovation in Beruf und Gesellschaft von großer Bedeutung sind.
Gerade dadurch, dass Frauen sowohl Fähigkeiten aus dem privaten Bereich, der Haus- und Familienarbeit, als auch aus ihrem Beruf besitzen, verfügen sie über eine Vielfältigkeit von Ressourcen. Diese beiden unterschiedlichen Fähigkeitsbereiche zu verbinden, ermöglicht neue, bisher ungeahnte, kreative Möglichkeiten. Dienstleistungsberufe werden von Frauen als Arbeitsplätze bevorzugt. Bei dieser Arbeit mit Menschen stehen die Beziehungen zueinander und eine gute Kommunikation miteinander im Zentrum; Funktion und Person sind eng miteinander verquickt.
Frauen sind gute Organisatoren und Kommunikatoren
Frauen haben seit Jahrhunderten gelernt, Fähigkeiten zu entwickeln, die für die Arbeit in der privaten Reproduktion gebraucht werden. Einen Haushalt zu führen, der Erholungswert hat, Kinder zu gebären und zu erziehen, sie in ihren Weg der Selbständigkeit zu begleiten, das ist kein Naturphänomen, sondern eine hochqualifizierte Arbeit – eine unbezahlte allerdings.
Insbesondere im Bereich der Kommunikation und der Organisation entwickeln dabei Frauen die Fähigkeiten, mit verschiedenen Menschen und Interessen immer wieder Lösungen zu finden. Was sie jedoch auch lernen ist, ihre eigenen Bedürfnisse hinten an zu stellen.
Das erweist sich nun in der Entwicklung von professioneller Kompetenz als ein Problem. Denn im Berufsleben ist es notwendig, Grenzen zu setzen. Da ist die eigene Meinung und das Aushalten von Distanz, Konfliktfähigkeit und Konkurrenz gefragt. Es geht also nicht nur darum, im Beruf zu tun, was für das Privatleben gelernt wurde. Sondern geht es darum, die beiden unterschiedlichen Anforderungen kreativ in Beziehung setzen. Dies gelingt, wenn Frauen lernen, für sich zu sorgen und ihre Fähigkeiten wertzuschätzen.
Wertschätzen, eine Frau zu sein
Um sich selbst wertschätzen zu können, muss sich eine Frau als selbständig erleben können. Frauen werden in unserer Gesellschaft jedoch weiterhin häufig über Beziehungen definiert: Tochter von…, Frau von…, Mutter von… Wertschätzung wird ihnen meist über ihre Verantwortung und Fürsorge für andere zuteil. Daher ist die Entwicklung von Selbstwert, von eigener Wertschätzung ein zentrales Feld der Arbeit als Frau mit Frauen.
Frauen müssen häufig lernen, sich aus verinnerlichten Verstrickungen zu lösen, die als Sätze von „du sollst…“ und „du darfst nicht…“ in ihnen herumgeistern. Vieles, was wir als Eigenes erleben, erweist sich als verinnerlichte Werte von anderen. Diese inneren Muster müssen dem Bewusstsein wieder zugänglich gemacht werden. Dabei wird häufig deutlich, wie viel unserer Energie in diesen chronischen Lebensmustern eingebunden ist und uns für die kreative Gestaltung unseres Lebens fehlt.
Die Selbstwahrnehmung setzt einen eigenen Raum voraus. Ich glaube, dass dieser Raum auch ein sozialer Raum sein muss. Es braucht immer Beziehungen, die diese Selbstwerdung unterstützen und mittragen. Beziehungen, die eine Frau darin bestärken „sie selbst“ zu werden. Beziehungen, die keinen Nutzten daraus ziehen wollen, wie sich jede Frau entfaltet. Persönlichkeitsentwicklung braucht daher ein geschütztes Umfeld, zum Beispiel eine Gruppe.
Um eigenständig zu sein, um ihre individuelle Persönlichkeit zu entfalten, braucht jede Frau auch Halt in sich selbst. Der Körper ist der zentrale Raum, den jede Frau besitzt und für sich alleine gestalten kann.
Der Körper als Raum für die Selbstwerdung und die Etablierung von Grenzen
Ein gutes Gefühl im Körper zu haben, sich vital und lebendig zu fühlen, ist eine wesentliche Voraussetzung für das Empfinden von Eigenständigkeit. Die Selbstbestimmung über den Körpers ist für Frauen jedoch nicht selbstverständlich gegeben. Der Körper ist Gegen-stand vieler gesellschaftlicher Erwartungen. Die gesellschaftlichen Normen, was eine „richtige Frau“ ist, sind sehr drückend und sich mit ihnen auseinander zu setzen und sich dann von ihnen zu lösen, erfordert viel Kraft. Der Körper erscheint leicht als derjenige, der die Probleme hervor bringt.
Der Körper ist für viele Frauen auf sein äußeres Erscheinungsbild reduziert, doch das Erleben, das sich wohl fühlen in der eigenen Haut, ist vernachlässigt. Die Entwicklung von Körperwahrnehmung beinhaltet ein eigenverantwortliches Umgehen mit den Energieprozessen des Körpers, mit Emotionen, Gefühlen und auch mit psychischen Innenwelten, den Bildern, Visionen und Träumen. Die eigenen inneren Impulse gilt es von den Erwartungen anderer Menschen und gesellschaftlicher Normen zu unterscheiden. Wir haben den Körper, den wir haben. Wenn eine Frau die positive Beziehung zu ihrem Körper entwickelt hat, dann kann sie die Ressourcen ihres Körpers nutzen.
Weibliche Ressourcen
Die Fähigkeit, die Bedürfnisse anderer zu sehen, die Intuition, die Organisation von vielen unterschiedlichen Aufgaben und Bedürfnissen, die Gestaltung von Ruhezeiten und Ritualen, das sind Qualifikationen. Die Erfahrung von ständigem Wandel, von Wachsen und von Vergehen erfordert sehr viel Flexibilität. Es ist ein Denken und ein Leben in Beziehungsstrukturen.
In jüngster Zeit wird die Emotionale Intelligenz entdeckt. Das ist ein Feld, das genau die Qualitäten beschreibt, die Frauen oft vorgehalten worden sind: Frauen seien zu emotional und nicht rational genug. Dass Gefühle salonfähig werden, ist sehr zu begrüßen. Es geht dabei um die Gefühle im Hier und Jetzt und es geht um die Selbstwahrnehmung und um die Wahrnehmung der Situation. Im Sinne einer ganzheitlichen Intelligenz bedarf es daher einer Balance zwischen emotionalen und rationalen Fähigkeiten. Dafür bringen Frauen sehr gute Grundlagen mit. Damit die Ressourcen zu Kompetenz werden, müssen sie bewusst und dadurch für Handlung nutzbar gemacht werden.
In der Arbeit mit Frauen wird meist deutlich, wie sehr wir dazu neigen, unsere eigentlichen Wünsche zu übergehen und Kompromisse an ihre Stelle zu setzen, die weder für uns, noch für unsere Umgebung notwendig und sinnvoll sind. Es geht um die Balance zwischen dem eigenen Bedürfnis und der sozialen Möglichkeit – um die Entwicklung einer Form, in der sowohl das Eigeninteresse als auch die soziale Verantwortung einen Platz findet.
Gerade Frauen sind sehr oft in der Idee gefangen, dass sie ihre Interessen zurückstellen müssten, damit alle anderen zufrieden sind. Zu erleben, dass es andere Formen des Miteinanders gibt, ermutigt Frauen, ihre eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen und Grenzen zu setzen.
Weibliche Grenzen: Fürsorge für sich selbst
Damit Hingabe nicht zur Selbstaufgabe zum Selbstverlust wird, braucht es Grenzen. Es bedarf eines respektvollen Umgangs mit den eigenen Bedürfnissen, die Entwicklung von Abgrenzung, “nein“ sagen zu können, um Beziehungen sowohl privat, als auch professionell eingehen zu können, in denen die Hingabe, das „ja“ zu anderen, getragen ist von einem „ja“ zu sich selbst.
Frauen müssen oft erst einmal lernen, für sich selbst zu sorgen. Denn „nein“ zu sagen, fällt Frauen sehr schwer. Die eigenen Bedürfnisse und Ansichten zu vertreten, sich den Anliegen der anderen Menschen zu verschließen erfordert Mut. Ganz besonders schwer fällt es Frauen, von anderen etwas zu fordern. Das erfordert, männliche Anteile in sich selbst zu aktivieren: Selbstbehauptung, Durchsetzungsfähigkeit, konstruktive Konkurrenz. Dazu müssen Frauen lernen, auszuhalten, dass sie unliebsame Entscheidungen treffen.
Der Körper als Frauenköper ist Schicksal. Die Selbstverantwortung besteht darin, sich der Chance zu stellen, die unterschiedlichen Anteile miteinander in Beziehung treten zu lasen. Wenn Frauen die Liebe zu ihrem Körper und all seinen Potentialen, den emotionalen und den rationalen, entdecken, so können sie zu den Pionierinnen werden, die unsere Gesellschaft in dieser Situation der Wandlung braucht. Frauen bringen alle Ressourcen für Innovation mit – sie zu entwickeln und sich nutzbar zu machen, das ist eine Herausforderung für jede Frau.