Ein Buchbeitrag von Hans-Georg Huber zu dem Buch „Beruf Fußballprofi“ von Jürgen Rollmann
Hans-Georg Huber war viele Jahre als Coach von Profi- und Spitzensportlern tätig, unter anderem auch für die VdV, die deutsche Profifußballer-Gewerkschaft.
Im Profifußball findet eine extreme Auslese statt, wie es sie in kaum einem anderen Berufsfeld gibt. Es gibt vielleicht 400 Plätze an der Sonne, sprich in der 1. Bundesliga. Und Tausende machen sich auf den Weg. Fußballspielen können sie alle. Der Konkurrenzdruck ist enorm. Was ist mit all denjenigen, die dabei auf der Strecke bleiben? Die ehemaligen Jugendnationalspieler, die heute in unteren Ligen kicken, während ihre Mitspieler aus früheren Zeiten Einkommensmillionäre und in aller Munde sind? Wie verkraften sie das Ende ihrer Träume? Vor allem wo Erfolg und Misserfolg oft ganz nah beieinander liegen. Es ist nicht nur die eigene Leistungsfähigkeit, die zählt, man braucht auch eine gehörige Portion Glück. Der richtige Trainer, der richtige Verein, eine Formkrise oder Verletzung eines Stammspielers, all das sind entscheidende Faktoren, die nur teilweise in der Hand des Spielers liegen. Das einzige, was er tun kann, ist im Training dafür zu sorgen, dass er gute Leistungen zeigt und sich nicht unterkriegen lässt.
Hier wird offensichtlich, wie wichtig es ist, das eigene Lebensglück nicht ausschließlich vom Fußball abhängig zu machen. Das bedeutet nicht, die Sache halbherzig anzugehen. Damit kommt man heute nirgendwo mehr hin. Es braucht das volle Engagement, wirklich alles zu probieren, die eigenen Leistungsgrenzen auszutesten um seine Ziele zu erreichen. Aber auch die Bereitschaft, zu akzeptieren, wenn es dann nicht klappt und sich mit dem gleichen Engagement neuen Zielen zuzuwenden.
Aber auch bei denjenigen, die sich sportlich durchsetzen, ist die mentale Belastung enorm. Von einem Tag auf den anderen stehen die Spieler und ihre Person plötzlich voll in der Öffentlichkeit. Sie werden vereinnahmt, bewundert und beneidet, sind Stars, die in anderen Menschen tiefe Gefühle wecken.
Der Spieler ist plötzlich mit Erfahrungen konfrontiert, die viele Menschen in ihrem ganzen Leben nicht machen. In der Stadionatmosphäre, vor 60.000 Zuschauern werden Adrenalinschübe freigesetzt, die andere Menschen vielleicht ein- oder zweimal in Extremsituationen ihres Lebens erleben. Der Profifußballer ist damit jede Woche konfrontiert. Diese Energie in Leistung und Kreativität umzusetzen, ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren. Aber der Schuss kann auch nach hinten losgehen, wenn der Spieler so überreizt ist, dass diese Energie in unkontrollierten Aggressionen innerhalb oder außerhalb des Spielfeldes ihr Ventil findet.
Auch außerhalb des Stadions ist der Druck enorm. Die Medien sind auf der Jagd nach Schlagzeilen und versuchen dem Fußballer Statements zu entlocken, die oft weder im Interesse des Spielers, noch des Vereins sind. Selbst das Privatleben ist vor den Medien nicht sicher. Sich all dem einfach entziehen, kann der Spieler nicht, da die Medien ein wesentlicher Faktor der Vermarktungsmaschinerie Profifußball sind und damit auch die hohen Gehälter der Spieler ermöglichen. Ein Privatleben außerhalb der eigenen vier Wände zu führen, ist auch nicht so einfach. Überall wird man erkannt, angesprochen, angestarrt. Es wird immer schwerer für den Spieler zu unterscheiden, wer einfach nur von ihm profitieren will und wer wirkliches Interesse an ihm als Mensch hat. Das führt oft dazu, dass die Sportler eine innere Barriere zu ihrer Umgebung aufbauen und sich in ihre Subkultur zurückziehen.
Und dann natürlich der tägliche Konkurrenzkampf um einen Stammplatz in der Mannschaft, einen neuen Vertrag, usw. Wenn der Spieler dann mal die heißersehnte Chance bekommt, zu zeigen, was er kann, steht er unter dem Druck, diese auch zu nutzen, weil völlig unsicher ist, wann er wieder die Gelegenheit dazu bekommt.
In vielen Vereinen fehlt die Unterstützung, mit diesem Druck konstruktiv umgehen zu lernen. Das Fußballgeschäft ist so schnelllebig, dass Spieler, die dem auf Dauer nicht gewachsen sind, aussortiert werden. Medientrainings, Entspannungstrainings oder psychologische Betreuung finden kaum statt. Selbst der naheliegend Zusammenhang zwischen Druck, Anspannung und Verletzungsanfälligkeit wir kaum beachtet.
Dabei lege es im ureigensten Interesse der Vereine, ihr größtes Kapital, die Spieler, nicht nur sportlich, sondern auch mental zu fördern, da auf Dauer die Entwicklung beider Seiten nötig ist, um Erfolg zu haben. Die Fußballer sind deshalb häufig gefordert, nach dem Prinzip Versuch und Irrtum, aus ihren eigenen Erfahrungen zu lernen. Im Idealfall gibt es in ihrer Umgebung kompetente Menschen, die ihnen dabei helfen.
Während der Fußballer sportlich und finanziell auf der Sonnenseite des Lebens steht, finden die Schattenseiten eher im Inneren statt. Die Zeit der Fußballerkarriere, das Alter von 20 bis 35 Jahren ist gleichzeitig auch eine ganz wichtige Zeit für die eigene Persönlichkeitsentwicklung. Wächst das Bankkonto und der Ruhm schneller als die eigene Persönlichkeit, besteht immer die Gefahr, dass der Spieler sich mit dem Bild identifiziert, das die Öffentlichkeit von ihm als Star hat. Wenn das passiert, entwickelt er eine falsches oder sehr eingeschränktes Selbstbild, denn jeder noch so erfolgreiche Profi ist viel mehr als nur ein Medienstar: in erster Linie ein ganz normaler Mensch mit Träumen und Ängsten, Stärken und Schwächen.
In der Regel kann die Persönlichkeit nicht parallel mit der sportlichen Entwicklung mitwachsen, denn Persönlichkeitsentwicklung braucht einfach ihre Zeit. Dennoch sind auch hier Spitzensportler gegenüber vielen anderen Menschen im Vorteil. Die Vielzahl der Erfahrungen, Herausforderungen und Krisen sind immer auch eine Entwicklungschance, vorausgesetzt, man ergreift sie und erkennt, dass die Welt größer ist, als ein Fußball.
Profifußballer wird häufig der Vorwurf gemacht, sie leben in einer Scheinwelt. Dabei wird meist übersehen, dass es Zeit braucht, in die neue Umgebung hineinzuwachsen. Woher soll ein junger Spieler die Fähigkeit haben, mit dem vielen Geld, mit dem Ruhm, den Medien, den hohen Leistungsanforderungen, mit all den Menschen umzugehen, die etwas von ihm wollen? Hier wären die Verantwortlichen in den Vereinen gefordert, die jungen Sportler zu unterstützen. Wenn überhaupt, besteht die Unterstützung jedoch meist darin, dass man dem Spieler alles abnimmt, damit er sich ausschließlich auf den Sport konzentrieren kann. Dabei gilt auch hier die alte Weisheit: „Wenn Du jemandem helfen willst, dann schenke ihm keinen Fisch, sondern bringe ihm das Fischen bei“.
Die wichtigen Funktionen in den Vereinen werden meist mit ehemaligen Spielern besetzt und die sind häufig betriebsblind, da sie beruflich nie über den Tellerrand des Profifußballs hinausgeschaut haben. Woher sollen sie die Fähigkeit haben, junge Menschen in Ihrer persönlichen Entwicklung zu fördern? Auf diese Weise hat der Profifußball manchmal etwas von einem Inzuchtbetrieb, der Defizite von Fußballergeneration zu Fußballergeneration weitergibt.
Gleichzeitig betonen die Vereine immer wieder, dass sie Spieler wollen, die auf dem Platz Verantwortung übernehmen. Das setzt eine starke Persönlichkeit voraus. Und mündige Spieler sind für die Vereinsverantwortlichen eben auch manchmal unbequem. In meiner Arbeit mit Profifußballern erlebe ich immer wieder, dass es in den Vereinen Probleme gibt, auftretende Konflikte konstruktiv so zu lösen, dass es zwei Gewinner gibt. Nicht Sieger und Verlierer.